Title: Liebe - Krankheit - Wahn: Lyrische Spielarten im Minnesang
Author, co-author: Bendheim, Amelie
Abstract: „Die Liebe verwundet, die Liebe fesselt, die Liebe macht krank, die Liebe lässt schwach werden.“ Dieser ursprünglich theologisch geprägte Gedanke über die Gewalt der Liebe, lässt sich – auf seinen bildlichen Kern reduziert – in zahllosen Varianten in der Weltliteratur aufspüren. Eine besonders auffällige Form scheinen dabei jene Texte zu bieten, die Liebe nicht allein als Auslöser, sondern gar selbst als Krankheit darstellen – zumindest implizit, insofern der Zustand des Verliebtseins mit dem Zustand der Krankheit gleichgesetzt wird. Wohl bekannt sind die körperlichen Symptome dieses Liebeszustandes, die in ihrer klassischen Ausprägung im Erbleichen, Erröten, Zittern, in Sprachlähmung sowie im Bluten aus der Nase bestehen und im Mittelalter als minnesiech bezeichnet werden. Erscheint die Liebeskrankheit im Minnesang noch vornehmlich in metaphorischem Gebrauch (s. das gequälte Herz als Beispiel für den Schmerz der Minne), weisen spätere Wörterbucheinträge (vgl. hierzu die Lemmata ‚Liebesfieber’ oder ‚Jungfernkrankheit’) wiederum auf ein stärker körperlich-physiologisches und auch sexuell-erotisches Verständnis von Liebe hin. Krank macht die Minne nun vor allem – und dem mittelalterlichen medizinischen Duktus der Humoralpathologie folgend – dann, wenn das körperliche Begehren nicht befriedigt werden kann. Der hier skizzierte Vortrag will die Vorstellung von Krankheit in einem größeren semantischen Beziehungsgeflecht in den Blick nehmen, das sich in der mhd. Lyrik in bedeutender Weise hervortut: der Verbindung Liebe – Krankheit – Wahn. Der wân als zentrales Symptom der Minnekrankheit löst – so die hier zu erprobende These –den Geist vom versehrten Körper und definiert damit den Übergang von der körperlichen Krankheit(smetapher) zu einer seelischen Zustandsbeschreibung. Die sprachhistorische Herleitung von mhd. wân vermag diese Beobachtung weiter zu untermauern, insofern der Begriff ein zunächst wertneutrales, semantisch vielfältiges Bedeutungsspektrum impliziert, und sich mit ‚Hoffnung, Zuversicht oder Einbildungskraft’ ins Nhd. übertragen ließe. Im krankhaften Minne-wân öffnen sich Denkräume, denen der Minnesang eine literarische Ausgestaltung verleiht; Minne-wân führt damit nicht nur zu körperlicher Versehrtheit, sondern ist eben auch guoter wân, lieber wân, saelden wân – und damit einer der ersten ‚Testräume’ für die Erprobung gedanklicher Spielarten des lyrischen Ichs in der deutschen Dichtung überhaupt.
Author, co-author: Bendheim, Amelie
Abstract: „Die Liebe verwundet, die Liebe fesselt, die Liebe macht krank, die Liebe lässt schwach werden.“ Dieser ursprünglich theologisch geprägte Gedanke über die Gewalt der Liebe, lässt sich – auf seinen bildlichen Kern reduziert – in zahllosen Varianten in der Weltliteratur aufspüren. Eine besonders auffällige Form scheinen dabei jene Texte zu bieten, die Liebe nicht allein als Auslöser, sondern gar selbst als Krankheit darstellen – zumindest implizit, insofern der Zustand des Verliebtseins mit dem Zustand der Krankheit gleichgesetzt wird. Wohl bekannt sind die körperlichen Symptome dieses Liebeszustandes, die in ihrer klassischen Ausprägung im Erbleichen, Erröten, Zittern, in Sprachlähmung sowie im Bluten aus der Nase bestehen und im Mittelalter als minnesiech bezeichnet werden. Erscheint die Liebeskrankheit im Minnesang noch vornehmlich in metaphorischem Gebrauch (s. das gequälte Herz als Beispiel für den Schmerz der Minne), weisen spätere Wörterbucheinträge (vgl. hierzu die Lemmata ‚Liebesfieber’ oder ‚Jungfernkrankheit’) wiederum auf ein stärker körperlich-physiologisches und auch sexuell-erotisches Verständnis von Liebe hin. Krank macht die Minne nun vor allem – und dem mittelalterlichen medizinischen Duktus der Humoralpathologie folgend – dann, wenn das körperliche Begehren nicht befriedigt werden kann. Der hier skizzierte Vortrag will die Vorstellung von Krankheit in einem größeren semantischen Beziehungsgeflecht in den Blick nehmen, das sich in der mhd. Lyrik in bedeutender Weise hervortut: der Verbindung Liebe – Krankheit – Wahn. Der wân als zentrales Symptom der Minnekrankheit löst – so die hier zu erprobende These –den Geist vom versehrten Körper und definiert damit den Übergang von der körperlichen Krankheit(smetapher) zu einer seelischen Zustandsbeschreibung. Die sprachhistorische Herleitung von mhd. wân vermag diese Beobachtung weiter zu untermauern, insofern der Begriff ein zunächst wertneutrales, semantisch vielfältiges Bedeutungsspektrum impliziert, und sich mit ‚Hoffnung, Zuversicht oder Einbildungskraft’ ins Nhd. übertragen ließe. Im krankhaften Minne-wân öffnen sich Denkräume, denen der Minnesang eine literarische Ausgestaltung verleiht; Minne-wân führt damit nicht nur zu körperlicher Versehrtheit, sondern ist eben auch guoter wân, lieber wân, saelden wân – und damit einer der ersten ‚Testräume’ für die Erprobung gedanklicher Spielarten des lyrischen Ichs in der deutschen Dichtung überhaupt.